Pflanzen steuern ihre Umwelt
Eine neue Sichtweise auf Pflanze und Boden
Bislang dominierte eine einfache Sichtweise von der Welt der Pflanzen. Diese brauchen den Boden als Substrat für Nährstoffe und als Anker für ihr Wachstum. Den nützlichen Bakterien im Wurzelraum wurde lediglich die Funktion von Nährstoffumwandlern zugesprochen, die die organischen Rückstände verdauen und den Pflanzen die dabei entstehenden Nährstoffe zur Verfügung stellen. Den nützlichen Pilzen, sprich der Mykorrhiza, billigte man allenfalls Funktionen bei der Wasser- und Nährstoffaufnahme von Phosphor und Stickstoff zu. Daher beschäftigten sich viele Wissenschaftler lieber mit den pathogenen Bakterien und Pilzen, die es zu bekämpfen galt. Die Pflanzenzüchter setzten auf Resistenzen, die Phytopathologen auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln.
In der neuen Sichtweise ist die Pflanze Teil eines ganzheitlichen Systems, welches die Bodenfauna und die Bodenflora mit einschließt und über ein spektakuläres Informationsnetzwerk verfügt. Die Pflanze spielt dabei den Boss; die Mikroorganismen sind quasi ihre Angestellten. Gesunde Pflanzen werden durch eine außergewöhnliche Vielzahl von Bakterien, Pilzen, aber auch anderen Mikroorganismen und Viren besiedelt, die in ihrer Gesamtheit das Pflanzenwachstum fördern. Die Vielfalt ist der Garant für die Stabilität. Die Pflanzen fördern deren Wachstum durch die Absonderung von Wurzelexsudaten. Jede Pflanzenart schafft sich ihr eigenes mikrobiologisches Umfeld, und über das Mykorrhizanetzwerk treten die verschiedenen Arten in Kontakt zueinander. Die Pflanzen können auf diese Weise Alarm schlagen, wenn sie durch Schaderreger angegriffen werden (mehr dazu in dem Beitrag „Internet im Boden“).
Diese neue Sichtweise wurde erstmalig 1904 durch den wenig bekannten deutschen Agrarwissenschaftler Lorenz Hiltner vorgestellt, setzt sich aber erst jetzt allmählich durch. Neue Erkenntnisse werden u.a. am renommierten Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln erarbeitet. Am Beispiel der Agave, die bei Trockenheit und Hitze sowie unter extrem nährstoffarmen Bedingungen ausdauert, können die Wissenschaftler nachvollziehen, welche Wurzelmikroben die Pflanze in ihrem Lebensumfeld unterstützen. Die mikrobielle Bodenflora ist wesentlich robuster als die Mikroorganismen, die auf Blatt und Spross siedeln. Auch bestehen Unterschiede zwischen den Bodenbakterien und den Pilzen. Die Zusammensetzung der Pilzarten unterliegt stärkeren äußeren Einflüssen als die Zusammensetzung der Bodenbakterien. Die Wissenschaftler sprechen von einem koevolutionären Prozess, der seine Anfänge vor 450 Millionen Jahren hat. Gemeint damit ist die gute Abstimmung, die gute Zusammenarbeit der unterschiedlichen Beteiligten, die von Generation zu Generation immer besser geworden ist. Die Kölner Wissenschaftler vermuten, dass diese bewährte Zusammenarbeit durch die modernen Bewirtschaftungsmethoden gestört wird. Deshalb sind die Agrarwissenschaften gefordert, diese Zusammenhänge näher zu erforschen und Bewirtschaftungssysteme zu entwickeln, die möglichst wenig Störungen hervorrufen. Ähnlichkeiten bestehen auch zur übertriebenen Hygiene beim Menschen, durch die das Immunsystem nachhaltig gestört wird und viele Allergien auslöst.
Dieser Bodeninformationsdienst hat sich zum Ziel gesetzt, Informationen zusammenzutragen, die diese neue Sichtweise unterstützen. Mittlerweile gibt es immer mehr Forschungsgebiete, die die in Jahrmillionen bewährten Natursysteme kopieren, z.B. die Bionik. Die Konstruktionssysteme der Natur finden Eingang in allen wichtigen technischen Disziplinen. Sie sind in Gegenständen des täglichen Gebrauchs ebenso verwirklicht wie in Flugzeugen, Autos und Gebäuden. Wenn die Landwirtschaft die für sie wichtigen Naturprozesse besser begreifen lernt und mit diesem Wissen nachhaltige Bewirtschaftungsverfahren entwickelt, dann profitiert sie davon am meisten. Die Landwirte haben dann mehr Zeit, weniger Stress, weniger Ärger mit der öffentlichen Meinung und mehr Geld am Ende des Wirtschaftsjahrs.